private viewing 05

Ein Prozess des künstlerischen Austauschs im Salonformat

toni kleinlercher, fine artist and author
peter moosgaard, media artist and author
alexandra reill, conceptual artist and experimental filmmaker

idea and concept toni kleinlercher
curating | public relations toni kleinlercher / alexandra reill
production studio kleinlercher/kosai | vienna | 2019

when
opening performance 05/10/2019
exhibition 06/10/2019 – 18/10/2019
where
studio kleinlercher/kosai

Im Rahmen der Ausstellungsreihe private viewing lädt Toni Kleinlercher in sein Atelier – ausstellende KünstlerInnen treten in kommunikativen Austausch mit Arbeiten aus Kleinlerchers Werkarchiv. Ausstellung 05 widmet sich rhythmisch geprägten Narrativen in Zeit, der Untersuchung von Objektivierung und dem Versuch, als Individuum de-individualisierte Ausdrucksformen zu praktizieren.

takes aus julianischen tagen
Unter Betrachtung von Arno Schmidts Ausführungen zum Julianischen Kalender und der verbreiteten Neigung, sich auf persönlich bedeutsame Personen oder Begebenheiten unter Verknüpfung mit einer Zeitmessung zu beziehen, entstanden tägliche Text- und Bildmanifestationen, die sich bewusst jeglicher Zuordnung zu entziehen versuchten. Nun konzeptionell und formal On Kawaras date paintings folgend, erproben Kleinlerchers Installation und Experimentalfilm Fragen zu Auflösung über Gleichheit in Leere.

never forget how fragile people are
ist ein künstlerisches Forschungsprojekt aus dem Segment der Ethno-/ Autofiction; die Installation eines calendariums, das auf Grundlage von Methoden aus Big Data und Social Profiling etymische Untersuchungen vornimmt, um so zeitgenössisches Narrativ in experimenteller Weise zu erproben. Reill erklärt sich für einen definierten Zeitraum zum Sample für biografische Entwicklung, die fallgleich genauso von einer anderen Person durchlebt werden könnte.

You can store water in the cloud!
(2019)

Moosgaards Text und Keynote setzen sich mit künstlerischen Bezugssystemen und ihren Überlagerungen in den Arbeiten von Alexandra Reill und Toni Kleinlercher auseinander. Persönliche Mythologien treffen auf gesellschaftliche Lebensrealitäten, anhand derer potenzielle Rhythmen zeitgenössischer, digital konditionierter Welten sichtbar werden. Die Frage an die ausgestellten Arbeiten ist: Verschwinden die Rituale oder werden sie erneut durch technische Verfahren er- und übersetzt?

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You can store water in the cloud!
(2019)

Das erste Bezugssystem ist der Horizont, er teilt ganz schön göttlich den Himmel von der Erde ab – und so die Irdischen von den Himmlischen. Ob menschliche Orien­tierungsmodelle und Ordnungssysteme nun Gottesurteile sind oder nicht, bleibt dabei schleierhaft. Das indogermanische Urwort der Teilung und Ausdifferentierung, das SCEI- geht eben diesem Himmel (Sky, Schisma, Science, Schizo ..) voran, und bot uns damit erste Anhaltslinien. Nach Einfall der Dunkelheit kamen die Anhaltspunkte hinzu und das Ganze wurde schon wesentlich komplexer. In diesem Rauschen der Sterne, dem himmlischen Noise, diesen Daten meinen die Menschen bald Figuren zu erkennen, und kosmisieren erstmalig das Rauschen zu waschechter Information. Zu jenen wesentli­chen Unterschieden an Stieren, Jungfrauen, Krabben etc könnte man auch Einbildung sagen. Aber die Einbilder sind uns durchaus nützlich: Wege werden so gefunden und wütend wieder eingeschlagen. Ab dann wurde es mit gewissen Maßen kompliziert mit den Orientierungshilfen. Der Mensch ist nur so gut oder schlecht wie seine Bezugsysteme selbst, in denen er sich verorten und die Welt aus kosmisieren kann. Wie die Grenze von Wittgensteins Sprache auch die Grenze von Wittgensteins Welt ist, ist es heute der Bildschirm über den Kontingenz bewältigt wird. Aus Überforderung vor dem Son­nenuntergang (ja aus schlechtem Gewissen diesen nicht wirklich fassen zu können) wird der Sonnenuntergang fotografiert und gepostet, ohne entsprechenden Filter geht das Erleben nicht. Die austellenden Künstlerinnen und Künstler bewegen sich nicht in den geläufigen, den stark belaufenen Bezugssystemen. Sie schaffen ihre eigenen Karten und verschieben sie – gleich der Situationisitschen Internationale – gege­neinander. Sie erzeugen dadurch oft delikate Berührungspunkte und kommen so vom Weg ab. Dorthin, wo auf der Karte Drachen wohnen. Wie meinte Deleuze, wenn man dem Flus­slauf einfach folgen soll, wohin der Samen getragen wird, in die Wildnis? In einer Gegenüberstellung der Arbeiten von Alexandra Reill und Toni Kleinlercher finden wir Schnittmengen, oder weniger metrisch ausgedrückt: delikate Berührungspunkte, von denen aus sich ein neuer Sinnzusammenhang von Innen- und Außenwelt entspinnen kann. Die Darstellung von privaten Mythologien, akribischen Aufzeichnungssystemen verbind­et diese Positionen, die vielmehr zwei Horizonte als zwei Standpunkte sind. In dies­er Liebe zum Beziehen selbst setzen die Künstler nicht Versatzstücke in Konstella­tion, sondern Systeme des Alltags selbst. Die Sinnzusammenhänge innerhalb derer wir täglich wahrnehmen, erkennen wollen, aufzeichnen, werden in den Arbeiten neu und höchst persönlich geordnet. Sie werden so als poetische wie technische Teilhabe gle­ichermaßen gedacht. Alexandra Reill entsagt sich in ihrer Arbeit der Datenhegemonie des Silicon Valley und entwirft ein eigenes, akribisches Instrumentarium der Selb­streflexion. Ein digitales Analysetool als offenes Werk, welches hier beliebig er­weitert und begangen werden kann: Big Data, c´est moi! Fertig ist es wohl nur dann, wenn die digitale Karte zum Gebiet geworden ist .. Toni Kleinlercher beschwört in seiner Arbeit den Berg Fuji, indem er ihn wiederholt und treffenderweise fotografi­ert, und mithilfe der Julianischen Tageszählung in der Zeit verortet. Der Nebel am Hor­izont macht den japanischen Fujisan oft schleierhaft – ein natürlicher Filter quasi – der den Berg erst in unserer Vorstellung zum Vorschein bringt. Auch hier ver­schleiern Daten (und) Wolken Mensch (Künstler) und Gottheit (Fujisan). Wir sehen die Profile von Berg und Frau nur hinter ihren Spuren so deutlich. So jagen wir unseren eigenen Fußabtritten hinterher und verlassen uns fast rituell auf Kamera, Computer und Apparat, sie machen sprichwörtlich FÜR uns Sinn. So könnte doch ein neues Koan lauten: Can you store water in the cloud? Jedoch ist Information im wahrsten Sinne “Einbildung”, wir formen hinein in die Wolken. Wir sehen Figuren, Vogelspuren im Schnee, Daten und gehen ihnen gleich nach. Wenn es sein muss, auch bis zum Horizont.

Toni Kleinlercher, bildender Künstler und Schriftsteller, untersucht in seinen thematisch-formalen Ansätzen Codierungen / Überschreibungen / Verdichtungen und nimmt ethnografische Annäherungen als Anlass für letztlich meditative Werkserien, die sich mit Leere in Zeit beschäftigen.

Alexandra Reill versteht sich als Konzeptkünstlerin und experimentelle Filmemacherin. Thematisch befassen sich ihre Installationen und Inszenierungen oftmals mit Rückwirkungen von Technologien auf Identitätsbildung, im Kontext sozialer Realitäten und unter Betrachtung des politischen Souveräns.

Peter Moosgaard ist Medienkünstler und Autor. In seiner Kunst beschäftigt er sich mit Appropriation, Ethnografie von Globalisierung und Konsumkulturen. Cargo-Kulte, Shanzai und darin enthaltene Verschlussformen bilden Ausgangspunkte zur Untersuchung globaler, post-digitaler Strategien.

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