Hommage an Hans Richter. Dokumentation

Dokumentation des partizipativen real.time Enactments zu zeitgenössischen Fragen hinsichtlich des künstlerischen und des politischen Souveräns

text performance susanne gschwendtner / tina muliar / otmar wagner
video camera bernadette stummer
video sampling | editing | sound mix alexandra reill
real-time sound composition eargazm
real-time video stage design peter koger | alexandra reill + audience / guests
idea | concept | text | dramaturgy | mise-en-scène alexandra reill
production kanonmedia | vienna 2012

Hans Richter, Sohn des Legationsrats Moritz Richter und der Ida Gabriela Rothschild (1) zeichnet sich durch sein ästhetisches Profil wie die Meisterlichkeit seines Werks, aber auch durch seinen Mut, die bedingungslose Anerkennung ästhetischer Produktion im Unterschied zu politischer Produktion klar und ohne Zögern in jenem Moment politischem Handeln unterzuordnen, wo dies erforderlich ist: im Berlin der 20er und 30er Jahre stellt sich Richter so kompromisslos wie künstlerisch hochsensitiv und poetisch agierend einem Faschismus in den Weg.

Der mangelnde Glaube an jede Zusammengehörigkeit, den wir Ihrer: „Gesellschaftsform“ (oh Staat) verdanken – ihrer „Gemeinschaft“; die uns verpflichtet, sich in jeder Form davon zu unterscheiden, war das Zwangsmittel zur Bildung dieses mondsteinfarbenen Dada – Die Verpflichtung, die wir ihnen gegenüber damit übernahmen, das Bekenntnis „Zu etwas zu gehören“, ist ein Irrtum, den Sie sich selbst zu verdanken haben. Unsere Gemeinsamkeit (die Gemeinsamkeit nebenbei derer, die sich sauber achten) in einer Säure von leicht pathetischer oder grauer Verzweiflung … echter Haltung, liegt ganz außerhalb der Gruppe, des Mouvement der Zeitschrift Dada. Auf der Nachstufe einer Weltanschauung ist das Jonglieren mit seinen eigenen Gebeinen unter Einschluß der Gedärme das geeignete Verständigungsmittel. (2)

Die experimentelle Dokumentation Hommage an Hans Richter stellt ebenso eine Würdigung an Werk und Haltung von Hans Richter dar wie sie seine dadaistischen Ansätze aus der ersten Zeit der Filmgeschichte hinsichtlich ihrer zeitgenössischen Relevanz in einem digitalen Zeitalter der Video- und Tonkunst des 21. Jhdts. beleuchtet und den Status zeitgenössischen audiovisuellen Schaffens im Lichte einer Filmgeschichte im Experiment überprüft und dabei bewusst mit historischem und politischem Raum umgeht – sei es jener inhaltliche Raum, den Hans Richter schuf, als er sich dem Abstrakten als der damalig so genannten “reinen” Form des Ästhetischen widmete oder jener politische Raum, wo er aktiv antifaschistisch handelte, jener politische Raum, der wohl heute noch einer, diesmal nicht selten kapitalistisch-neoliberal geprägter Unerfahrenheit in der tatsächlichen Beanspruchung kollektiven und staatsunabhängigen Souveräns wie gruppendynamischer Gefahren mitläuferischer Massenbewegung und wirtschaftlichen Opportunismus unterliegt.

The experimental film has at last come into its own. It has created its own realm, which we may term “film poetry” in contradistinction to the “novel” of the entertainment film or the “reportage” of the documentary. (3)

Wenn kollektive Kommunikationsprozesse durch Umstrukturierungen in einem digitalen Zeitalter tatsächlich in der Lage sind, entscheidungstragende Strukturen zu entwickeln und zu begründen, so stellt sich in diesem Kontext auch erneut die Frage nach der politischen wie künstlerischen Rolle dezentraler experimentalfilmischer Produktion. Diese Frage bietet sich als künstlerischer Ansatz an, um jene drei von Richter definierten thematischen Segmente zu erforschen und in offensichtlich enormen globalen Umbruchszeiten zeitgenössisch zu reflektieren, die dieser, vermutlich 1957, in seinem Manuskript 30 Years of Film Poetry: Self-Expression and Communication als die drei Grundpfeiler damalig zeitgenössischen filmischen Schaffens definierte:

die Freiheit des/r KünstlerIn,
die moralische Verantwortung des Filminhalts
und den Wert des Obskuren.
[a](4)

(1) Cp. authors‘ collective: Hans Richter (Dadaist). In: Wikipedia (German page), http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Richter_(Dadaist), access: 2011/08/29. Translation: Alexandra Reill
(2) Hans Richter: Gegen Ohne Für Dada. In: http://members.peak.org/~dadaist/English/Graphics/gegen_ohne.html, date of publication unknown, access: 2011/07/21
(3) Hans Richter: EASEL—SCROLL—FILM. In: Magazine of Art, 02/1952, p. 86; cp. also http://rhythmiclight.com/articles/EaselScrollFilm.pdf, date of publication unknown, access: 2011/08/28
(4) Cp. Richard Suchenski: Hans Richter. In: senses of cinema No. 49, http://www.sensesofcinema.com/2009/great-directors/hans-richter/, date of publication unknown, access: 2011/07/17 17/07/2011; [a]: Hans Richter: 30 Years of Film Poetry: Self-Expression and Communication. Manuscript; translation: Alexandra Reill