Die Frage nach der Definition Virtuellen Öffentlichen Raums

text alexandra reill | 2006
published in publicwienspace | vie / a / 2006

Birgt die Frage nach der Definition von Öffentlichem Raum bereits die Notwendigkeit, in einer grundlegenden Unterteilung des Begriffs in solche Themenfelder wie „kommunale Nutzung“, „Nutzung durch eine Öffentlichkeit“, „Verfügbarkeit von Flächen, die von der öffentlichen Hand verwaltet oder besessen werden“ auf verschiedene Kontexte der Bedeutung von Öffentlichkeit einzugehen, so stellt sich der Versuch der Definition des Phänomens des Virtuellen Öffentlichen Raums um nichts leichter dar.

Vorab ist zu unterscheiden zwischen der Gebräuchlichkeit des Begriffs „virtuell“ – einerseits häufig angewandt auf digital-maschinelle Produktionswelten und -umgebungen, andererseits auf eine Form von „Künstlichkeit“ im Sinne eines eher höheren Maßes an Abstraktion, an abstrahiertem Charakter von Wissen oder Werk.

In einem synthetischen Beschreibungsansatz soll an dieser Stelle der Schwerpunkt der thematischen Eingrenzung auf geisteswissenschaftliche Forschungs- und virtuelle Produktionsergebnisse im Unterschied zu materiellen Produktionsergebnissen gelegt werden, und hier wiederum auf die Bedeutung solcher Wissenspotentiale für eine Öffentlichkeit – sprich, für jede/n Menschen ohne Unterscheidung nach welchem Faktor auch immer.

Wie sich in der Raumplanung der Anteil kommunal nutzbarer bzw. solcher Flächen, die sich im Besitz der öffentlichen Hand befinden, wesentlich auf die Möglichkeiten von Lebensraumgestaltung und einer Gestaltung von gesellschaftlichen Strukturen auswirkt, so wirkt sich ebenso wesentlich die Menge wie die Qualität kommunal nutzbarer Information – hier genannt im Vergleich zu lizenziert erwerbbarer bzw. über Lizenzerwerb zugänglicher Information – aus.

In einer gesellschaftlichen Phase des einerseits erleichterten und verbreiterten transnationalen Zugangs zu Information ist gleichzeitig ein mit hohem Maß an Restriktion freien Zugangs zu Information festzustellen. Entscheidungskraft über die Verfügbarkeit von Wissen ist oftmals bedingt und geprägt von hohem Potential an Kapitalressourcen und gewinnorientiertem Informationsmanagement – ein wesentlicher Faktor, denn das Maß budgetärer Investitionskraft, das in einer digitalen Welt erforderlich ist, um komplexe und ressourcenaufwendige System der Wissensspeicherung zu entwickeln und zu betreiben, spielt eine wesentliche Rolle im Informationszeitalter eines Kapitalismus.

Will man Debatten wie jene um den kapitalwirtschaftlich gesteuerten Einsatz von Social Reputation Systems auf der Grundlage von Voting-Verfahren beurteilen – die soziale Präsenz und gesellschaftliche Relevanz auf der Grundlage der Feststellung von „Good“ Persons und „Bad“ Persons, unter der Annahme, dass die „Guten“ überwiegen oder dass Random Systems entsprechende Balancierung ermöglichen können, auf der Grundlage, dass gesellschaftliche Relevanz vor allem durch mehrheitliche Auffassungen hergestellt wird –, so lässt sich enge Nähe zu produktbewerbenden und –verkaufenden Systemen erkennen. Solche Diskurse zeigen auf, welch direkte Auswirkung Social Reputation Systems auch auf die Positionierung und Wertschätzung von Wissensinhalten haben.

Ein weiterer Faktor ist, dass deren gesellschaftliche Relevanz nun auch allzu leicht und allzu oft – genauso wie im klassischen Branding einer Handelsproduktwerbewirtschaft – durch die Bezahlung von Gebühren, Lizenzen, Download Rates u.ä. Methoden gesteuert werden kann, denn es ist klar, dass jene Produkte, die durch finanzielles Investment einen gestärkten Außenauftritt erfahren, vorab größere Präsenz haben und damit eine andere Ausgangssituation bzgl. der Menge zu erwartender Gebühren, Lizenzen, Download Rates etc. So wirken zwei Enden desselben Seils in dieselbe Richtung. Es gilt also genau zu überdenken, welche Strukturen virtueller Bewertungsmethoden konstruiert werden und wie diese eingesetzt werden, wenn es nicht nur darum gehen kann, Marktleadership zu erzeugen.

Die Suchmaschine Google stellt ein gutes Beispiel für solche Entwicklungen dar – weltweit wird derzeit daran geforscht, wie man dem inzwischen etablierten Suchmaschinenprinzip, wie es Google verwendet, und dessen Auswirkungen auf die Zugänglichkeit zu Wissen entgegenwirken bzw. diese reformieren kann. Steuerbar durch Geldfluss durch Preise für Schaltungen in Kombination mit der Häufigkeit an Hits als Hauptkriterium für das Ranking im Listing der Anzeige sowie mit der Struktur einer Wissensverwaltung, die u.a. durch gebündelte Organisationsleistung gekennzeichnet ist, stellen solche Suchmaschinen, die durch die Bekanntheit bei und Nutzung durch viele Menschen eine wesentliche Position im Bereich Wissensmanagement für eine Öffentlichkeit innehalten, ein mächtiges Steuerungsinstrument für die Zugänglichkeit zu Information und deren kommunal-öffentlicher wie wirtschaftlichen Nutzung dar.

Solchen Engpässen versuchen heute Konzepte zu so genannten Semantischen Netzwerken entgegenzuwirken. Der einfache technische Umstand, dass wissensmanagende Detailinformationen wie Key Words, deren effiziente Listung und Platzierung nach wie vor eine wesentliche Rolle für die Häufigkeit des Aufrufs von Websites darstellen, nicht mehr auf einem Serversystem gespeichert und dort administriert werden sollen, sondern beim jeweiligen Client verbleiben, macht einen wesentlichen Unterschied zwischen zentral und dezentral gesteuerter Wissensverwaltung.

Bei den neuen und vielfach noch in Entwicklung befindlichen Suchmaschinen werden minütliche Aktualisierungen bei den Clients vorgenommen, auf denen die Key Words verbleiben. Die jüngsten Key Words werden nicht von einem Server, sondern von vielen Servern, einem dezentral, transnational und von verschiedenen InhaberInnen verwalteten Netzwerk an Servern mit Suchkriterien verknüpft. Einige Konzepte arbeiten an der selbstautomatischen Aktualisierungsfähigkeit von Clients bzgl. der Herstellung individueller Kriterienkataloge. Dies bedeutet, dass ein gesellschaftlicher Prozess eingetreten ist, in dessen Rahmen an der Deregulierung von zu zentralen Interessen gearbeitet wird, sodass verschiedene Interessen und Positionen mehr Gleichgewicht in ihrer Präsenz finden können. Solche Balancierungen wirken sich auch unmittelbar auf die Relation der Präsenz von Personen und Infrastrukturen mit unterschiedlicher Kapazität und Ressourcen an Wissensproduktion und –management aus – zugunsten von Schwächeren, zugunsten von Mehreren.

„Die Hilfsmittel der Prädikatenlogik werden eingesetzt, um kognitive Prozesse abzubilden. Datenstruktur sind dabei Listen von Propositionen …“ Begriffe, die eine Relation zwischen Konstanten und Variablen herstellen, wie eben Prädikate, schaffen Verbindungslinien zwischen Objekten der Vorstellung, so z.B. Hauptwörtern. „Ein Prädikat ist eine Relation zwischen Argumenten.“ (1)

Individualkonzepte werden Konzeptklassen zugeordnet. Als Individualkonzept gilt ein Einzelobjekt als Element einer Klasse (z.B.: Karl Marx, Buch-3, Seerose-1), Individualkonzepte gleicher Art werden zu einer Klasse zusammengefasst (z.B.: Person, Buch, Seerose). Diese Unterscheidung beruht auf der schon 1970 von Cabonell vorgeschlagenen Definition von „concept units“ und „example units“. Konzeptklassen wiederum können anhand eines [oder mehrerer] Gruppierungskriterien wieder zusammengefasst werden. Hier können verschiedene Ansätze Anwendungen finden, so hat z.B. eine Eigenschaftsklasse z.B.: Farbe als ausschlaggebenden Faktor, wenn alle Konzeptklassen dieses Merkmal besitzen. Ein anderes Gruppierungskriterium kann aber auch der Beziehungstyp sein, den alle Konzeptklassen zu einem beliebigen Konzept aufweisen. „Alle in einem semantischen Netz repräsentierten Aussagen sind implizit konjunktiv verknüpft.“ (2)

Mit ihren vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten und vor allem auch mit dem Feature der flexibel und individuell adaptierbaren, katalogartigen Zusammenstellung von Informationen auf verschiedenen Ebenen könnten sich semantische Netzwerke als eines der wichtigsten Internetinstrumente für den Zugang zu Wissen auf demokratischer Basis erweisen, als ein System, das sowohl dem Erhalt einer Public Domain wie der Stützung kommunal-offener Wissensgesellschaften in effizienter Funktionsweise direkt dienlich ist.

Wissen für alle ist heute eine Position, die im Zeitalter von UrheberInnen- und Nutzungsrechten, die in fast allen Fällen eher Vertrieben und unter den Vertrieben zumeist Corporates, in wenigen Fällen jedoch nur, und wenn, dann meist infolge der Vertretung durch Vertriebe, UrheberInnen dienen, Förderung und verstärkte Aufmerksamkeit benötigt. Freier Zugang zu qualitätsvollem ebenso wie zu vielfältigem Wissensangebot für jederfrau/-mann unterliegt immer mehr kapitalisierenden Tendenzen – Bildung, Wissenschaft und Sozialwirtschaft sind direkt betroffen.

Das Individuum ist in dieser Kette vielleicht das schwächste Glied. Wenn wir uns also heute nach der Definition Virtuellen Öffentlichen Raums fragen, so müssen wir uns sicher auch nach Prioritäten fragen. Virtueller Öffentlicher Raum bedeutet u.a. den freien, kommunalen Zugang zu Information. 

„Public Domain bezeichnet das völlige Fehlen eines Urheberrechtsschutzes für ein Kreativwerk“ … „Werke der Public Domain (i.e. Werke in der Public Domain) werden als Teil des öffentlichen Kulturerbes angesehen.“ (3)

Stellen wir die Frage nach der Bedeutung von Virtuellem Öffentlichen Raum, so müssen wir die Frage nach der Bedeutung und Zugänglichkeit ebenso wie nach der Definition einer Public Domain fragen. Public Domain ist ein Begriff, der aus der US-amerikanischen Gesetzgebung stammt, und in Zusammenhang mit welchem interessanterweise nicht nur – wie bekannt – eine AutorInnenschaft an jemand anderen abgetreten werden kann, was im Europäischen Urheberrecht nicht möglich ist, sondern auch Verweise auf Exportbestimmungen enthalten sind. Im Zuge digitaler Entwicklungen ist vor allem auch letzterer Verweis wohl neu zu analysieren.

Ist öffentliches Kulturerbe ausschließlich national zu definieren?

Alexandra Reill
Vienna, July 2006
all rights reserved

(1) Harald Schaub: Semantische und propositionale Netzwerke. In: Glossar Theoretischer Begriffe des Instituts für Theoretische Psychologie der Universität Bamberg, Erste Version des Glossars 1999, http://web.uni-bamberg.de/ppp/insttheopsy/glossar/SemantischPropositional.html, access: 2006/07
(2) Cp. Petra Saskia Bayerl: Semantische Netze, PPT, 2000; cp. also: Ulrich Reimer: Einführung in die Wissensrepräsentation: Netzartige und schemabasierte Repräsentationsformate, Teubner, Stuttgart 1991. http://www.uni-giessen.de/~g91063/edu/summer2000/semantics/talks/bayerl.htm, access: 2006/07
(3) Bellevue Linux Users Group: Public Domain Definition. In: http://www.bellevuelinux.org/publicdomain.html, 2004, access: 2006/07. Translation from English: Alexandra Reill, 2006